Die wissenschaftlichen Ziele des SPP
Häfen sind hochkomplexe Systeme, in denen sich ökologische, logistische, ökonomische, soziale, juristische, militärische und kultische Subsysteme überlagern und gegenseitig bedingen. Um das Phänomen „Hafen“ in seiner gesamten Tragweite und zeitlichen Tiefe methodisch adäquat bewerten zu können, ist eine Identifikation dieser Subsysteme und deren Implikationen auf das Siedlungsgeschehen selbst angestrebt. Ziel ist daher die Initiierung einer fächerübergreifende, chronologische Hürden und räumliche Grenzen überschreitenden Vergleichsanalyse, um Häfen als systemrelevante Komponenten zu verstehen.
1. Etablierung einer einheitlichen Terminologie
Bei der Ansprache von Häfen sind sowohl im deutschen als auch im angelsächsischen Raum große terminologische Unsicherheiten zu konstatieren, da die Kategorien für diese Befundgattung – insbesondere für die vor- und frühgeschichtlichen Epochen – von Seiten der Archäologie bislang nur unzureichend definiert worden sind. Dies führt dazu, dass für Anlagen völlig unterschiedlichen Verwendungszwecks impliziert wird, sie seien gleicher Natur. In Bezug auf hafentechnische Einrichtungen gilt dies ebenso für die Verwendung des Terminus „Landebrücke“ beziehungsweise englisch „jetty“.
Mehr oder weniger jegliche Agglomeration menschlicher Hinterlassenschaften in Küstengebieten wird mit den Spuren eines Landeplatzes beziehungsweise Hafens in Verbindung gebracht. Dieser unreflektierte Umgang führt dazu, dass de facto jeder küstengebundene Fundplatz ohne methodisches und definitorisches Gerüst zum Landeplatz geraten kann. Die Schaffung einer einheitlichen Terminologie ist Grundlage und unabdingbare Voraussetzung für weiterführende Studien. Nur auf diesem Wege wird eine Vergleichbarkeit des Phänomens „Hafen“ im überregionalen und diachronen Kontext zu gewährleisten sein.
2. Klärung der Wechselwirkungen zwischen Topographie und Hafenbau
Damit werden die grundlegenden Fragen zur Einordnung und zum Verständnis von Häfen an der Schnittstelle von Wasser und Land vergleichend analysiert. Gewässernetze und die Anbindung an Meere und die Ozeane müssen als maritime bzw. an Gewässer gebundene Determinanten verstanden und analysiert werden.
Wünschenswert wäre eine Beurteilung des Landschaftsbezugs aus einem nautischen Blickwinkel als „Einweichung der See ins Land“ (Allgemeines Wörterbuch der Marine von 1794), die die Schutzfunktion der Hafenanlage für den ruhenden Wasserverkehr gewährleistet. Die topographischen Verhältnisse bilden offensichtlich einen entschiedenen Parameter für die Platzwahl. Andererseits muss man fragen, warum Hafenanlagen auch an Plätzen mit ungünstigen naturräumlichen Voraussetzungen erbaut wurden. Der teilweise große Aufwand mit dem dies betrieben wurde, spiegelt sich dabei in artifiziellen Schutzbauten wie etwa Molen. Sich verändernde Umweltbedingungen können ihrerseits ebenfalls hafenbauliche Veränderungen oder gar die Aufgabe des Platzes erzwingen.
3. Bewertung der umweltgeschichtlichen Implikationen
Die jeweils vorherrschenden Umweltbedingungen und deren Veränderungen bilden entscheidende Faktoren bei der Etablierung von Hafenanlagen. Großräumige Hebungs- und Senkungsbewegungen, Verlandungsprozesse und Verlagerungen von Flussläufen stellen in unterschiedlichen Ausprägungen ein weit verbreitetes Phänomen dar. Die damit verbundene Veränderung von Wasserständen bedingte neue technische Lösungen beim Betrieb der Häfen, von deren Bewältigung nicht zuletzt der ökonomische Erfolg und die Existenz der Hafenstädte bzw. Seehandelsplätze abhingen. Sogar deren Aufgabe war möglich, wenn extreme Veränderungen der Ökologie nicht mittels der jeweils vorhandenen technischen Ressourcen beherrschbar waren.
Die wechselnden Umweltbedingungen sind somit Grundkonstanten zum Verständnis von individuellen Entwicklungen sowie von überregional nachweisbaren Veränderungen. Ziel ist es, durch eine vergleichende Analyse in unterschiedlichen Kulturräumen, Strategien bei der Bewältigung umweltdynamischer Prozesse zu identifizieren.
4. Analyse der Wirtschafts- und Verkehrsräume
Als Relais zwischen der terrestrischen und der maritimen Sphäre nehmen die Hafenstädte eine einzigartige Position ein. Nur sie erschließen den beidseitigen Zugang zu zwei in sich geschlossenen Verkehrsnetzen. Somit bilden Häfen logistische Knotenpunkte in überregionalen, regionalen und lokalen Produktions- und Distributionsstrukturen. Ihre ökonomische Bedeutung ergibt sich aus der zentralen Funktion beim Warenumschlag. Dabei ist die gewässernahe Nutzung von Ressourcen und der Abbau von Rohstoffen bzw. die dort ansässige Produktion ebenso von Bedeutung wie die Anbindung zentraler Märkte an die überregional orientierten Seehandelsplätze und Hafenstädte.
Ziel ist es, durch die vergleichende Analyse archäologischer Befunde, ausgewählter Fundgruppen und historischer Quellen zu einer Interpretation der ökonomischen Funktion von Häfen in Relation zu ihrer verkehrstechnischen Anbindung zu gelangen. Als Schauplätze des Warenumschlags wird somit deren Rolle in den Netzwerken des Regional- und Fernhandels zu bestimmen sein und eine Basis für syn- und diachrone Vergleichsstudien bilden.
5. Erstellung kulturgeschichtlicher Entwicklungsmodelle
Über eine Betrachtung der oben beschriebenen Teilfelder Terminologie, Wechselwirkungen zwischen Topographie und Hafenbau, umweltgeschichtliche Implikationen und Analyse der Wirtschafts- und Verkehrsräume wird eine zusammenfassende Bewertung vor dem Hintergrund regionaler und überregionaler Kulturtraditionen angestrebt. Eine Analyse regionaler und chronologischer Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen Mediterraneum und Nord-, Mitteleuropa sowie Römerzeit und Mittelalter wird die Grundlage zur Formulierung übergeordneter Entwicklungsmodelle bilden.