Bilder und Vorstellungen römischer Hafenanlagen
Die antiken Häfen und Hafenanlagen im Mittelmeerraum sind zum überwiegenden Teil nur fragmentarisch erhalten. Als Gründe dafür sind vor allem die Einwirkung der natürlichen Elemente auf die baulichen Überreste in der Kontaktzone zwischen Land und Meer, tektonische Verschiebungen aber auch menschlicher Einfluss zu nennen. Um den Mangel im Denkmälerbestand zu kompensieren, werden häufig bildliche Darstellungen von antiken Hafenanlagen zur Rekonstruktion des architektonischen Erscheinungsbildes heran gezogen. Wegen ihres Detailreichtumes dienen häufig ein Relief im Museo Torlonia (Abb. 1), ein Sarkophag-Relief in den Vatikanischen Museen (Abb. 2) sowie Wandmalereien aus Kampanien (Abb. 3 und 4) als Vorlage und Illustration. Die Menge an bildlichen Hafendarstellungen römischer und frühbyzantinischer Zeit ist aber bedeutend größer, dennoch stellen die Zusammenstellung dieser Bildszenen in den unterschiedlichen Gattungen und ihre kontextbezogene Auswertung ein Desiderat der Forschung zu antiken Hafenanlagen dar.
Das Forschungsprojekt „Bilder und Vorstellungen römischer Hafenanlagen“ untersucht gattungsübergreifend, in welchem Maße sich Darstellungen römischer Hafenanlagen für die Rekonstruktion des antiken Erscheinungsbildes einzelner Häfen und der dort vollzogenen performativen Handlungen – wie Ritualen und Statuenaufstellungen – eignen. Für die Bildquellen wurde häufig angenommen, dass sich die in den Abbildungen wiedergegebenen Bauten eindeutig identifizieren und bestimmten Häfen zuordnen lassen, ohne dass der diesen Darstellungen eigene Quellenwert überprüft bzw. herausgearbeitet worden wäre. Es gilt im Einzelnen zu prüfen, in welchen Gattungen Hafendarstellungen auftreten, wer Auftraggeber und Adressaten waren, welchen Quellenwert die Abbildungen haben und damit verbunden welche Informationen wir über die baulichen Einrichtungen von Häfen und die dort vollzogenen performativen Handlungen gewinnen können. Erkenntnisgewinn ist dabei auch in der Frage nach der Wahrnehmung der Lebensbereiche „Hafen“ und „Meer“ durch den antiken Menschen zu erwarten.
Aufgrund des Forschungsstandes ist für eine Auswertung der Darstellungen römischer Hafenanlagen zunächst Grundlagenarbeit in Form einer umfassenden Recherche in den unterschiedlichen Kunstgattungen und einer eingehenden Dokumentation der Stücke nötig. Auf Grundlage der Recherchen sollen ausführliche Beschreibungen der Hafendarstellungen erstellt werden. Die bei der Informationsrecherche anfallenden Daten und Beschreibung werden in die archäologische Objektdatenbank "Arachne" eingepflegt, sodass sie nach Abschluss des Projektes für weitere Fragestellungen online zur Verfügung stehen.
Auf der Basis dieser Recherchen sollen anhand des Materials folgende Fragekomplexe untersucht werden:
1.) In welchen Kontexten sind Häfen und Hafenszenen abgebildet worden und wer sind jeweils Auftraggeber und Adressaten?
Zunächst kann grob eine Trennung der Gattungen mit Hafendarstellungen in einen öffentlichen und einen privaten Kontext vorgenommen werden. Einen öffentlichen Charakter haben die Hafendarstellungen auf Münzen und auf Staatsdenkmälern wie der Traianssäule. Aus privatem Kontext stammen Abbildungen auf Sarkophagreliefs, in der Wandmalereien, in Mosaiken, auf Glasfläschchen und Öllampen. Häfen wurden sowohl im profanen, als auch mythischen Kontext abgebildet. Die Annahmen, dass Hafenszenen im mythischen Kontext lediglich im privaten Kontext auftreten, soll im Rahmen des Forschungsprojektes genauer überprüft werden.
2.) Welchen Realitätsgehalt und welchen Quellenwert haben die Abbildungen?
Als Grundprämisse soll für die Analyse der Hafenszenen angenommen werden, dass es sich bei den Darstellungen nur in den seltensten Fällen um realistische Szenen aus einem eindeutig lokalisierbaren Hafen handelt. Durch eine Zusammenschau der Bilder lässt sich aber herausarbeiten, welche Gebäude als topisch für die Identifizierung als Hafen zu bezeichnen sind und immer wieder auftreten, und welche spezifisch für einzelne Bildwerke sind und daher konkret einem Hafen zugewiesen werden könnten.
3.) Welche performativen Handlungen in Hafenanlagen lassen sich durch die Untersuchung der bildlichen Hafenszenen rekonstruieren?
Im archäologischen Befund sind Dinge wie die Praxis der Statuenaufstellung, kultische Handlungen oder auch alltägliche Tätigkeiten in Häfen für die römische Kaiserzeit kaum zu greifen. Außer den spärlichen schriftlichen Hinweisen liegen uns zu diesem Komplex keine weiteren Erkenntnisse vor. Die Auswertung der Hafendarstellungen ist dazu geeignet, unseren Kenntnisstand in diesem Bereich zu erweitern.
4.) Lässt sich durch die Auswertung der Bildquellen rekonstruieren, wie die Zeitgenossen die Lebensbereiche „Meer“ und „Hafen“ wahrgenommen haben und welche positiven und negativen Konnotationen damit jeweils verbunden waren?
Zu Fragen ist, zu welchem Anlass Hafenszenen abgebildet worden sind, welche Sicht auf die Lebensräume „Hafen“ und „Meer“ der Auftraggeber/Produzent jeweils transportieren wollte und welche Rezeptionsmöglichkeiten für den Betrachter bestanden.