„Studien zu den Binnenhäfen in Zentraleuropa als Knotenpunkte europäischer Kommunikationsnetzwerke “
Der jahrzehntelangen Forschungstradition an nordeuropäischen Seehandelsplätzen steht eine weitgehende Vernachlässigung der Binnenschifffahrt gegenüber, obwohl Schriftquellen ihre Bedeutung beispielsweise für die Königsherrschaft und die Versorgung großer Klöster klar herausstellen. Ein Desiderat stellt insbesondere die Untersuchung von Binnenhäfen als Schnittstellen der Verkehrs- und Kommunikationsnetzwerke zwischen Land und Wasser dar. Dieser Thematik widmet sich das Teilprojekt „Studien zu den Binnenhäfen in Zentraleuropa als Knotenpunkte europäischer Kommunikationsnetzwerke“ (500-1250) des Bereichs für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie (Ansprechpartner: Prof. Dr. Peter Ettel) in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit dem Historischen Institut der Friedrich‑Schiller-Universität Jena (Ansprechpartner: Prof. Dr. Achim Hack).
Innerhalb des Projektes werden zunächst überregional möglichst alle für die Schifffahrt infrage kommenden Binnengewässer berücksichtigt: Flüsse – von den großen mitteleuropäischen Strömen bis hin zu den kleinstmöglichen schiffbaren Fließgewässern – sowie Seen mit ihren Inseln. Jede Form von Binnenschifffahrt setzt einen Übergang zwischen Land und Wasser und damit die Nutzung eines Hafens voraus. Wie jedoch ein solcher Hafen aussah und was ihn ausmachte, muss im Zuge des Projekts noch geklärt und näher differenziert werden. Daher werden zunächst jegliche Schnittstellen zwischen Land und Binnengewässern als „Häfen“ Untersuchungsgegenstand des Projekts sein. Ziel der Analyse ist es herauszuarbeiten, wie Binnenhäfen in die Verkehrs- und Wirtschaftsräume zwischen Mittelmeer, Nord- und Ostsee eingebunden waren. Neben der großflächigen Betrachtung des Gesamtgebiets steht insbesondere im archäologischen Arbeitsteil der Vergleich verschiedener Regionalstudiengebiete an zentralen europäischen Flusssystemen wie Rhein, Main und Donau sowie Rhône, Saône und Po im Fokus des Projektes. In diesem Rahmen werden folgende Fragestellungen untersucht:
- Lassen sich bezüglich der Standortwahl von Häfen Muster erkennen, nach denen bestimmte naturräumliche Gegebenheiten bevorzugt bzw. gemieden werden?
- Welche Bedeutung kommt einzelnen Häfen innerhalb eines größeren Gewässernetzes und den daran anschließenden Verkehrsnetzen an Land zu?
- Welchen Einfluss haben Häfen auf die Formungsprozesse von Siedlungen und Städten und ihrer Infrastruktur?
- Welche Rolle kommt der ufernahen Bebauung für den landseitigen Schutz von Häfen und dem Wasserverkehr zu?
- Welche Aussagen lassen sich über die bauliche Gestalt von Häfen treffen?
- Welchen Einfluss hatten z.B. schiffstechnologische oder siedlungsmorphologische Veränderungen auf die Lage, Konstruktionsweise und Nutzung von Hafenanlagen und der ufernahen Bebauung?
- Wie lassen sich anhand archäologischer Befunde historische Flussverläufe bzw. die sukzessive Verlagerung von Flussläufen nachweisen?
- Welchen Einfluss hatten veränderte Wasserpegel, Flussverläufe und Verlandungsprozesse auf die Funktionalität und bauliche Gestalt von Häfen sowie auf die Nutzung der Uferzone?
- Welcher Technologien bediente man sich zur Instandhaltung von Häfen und Hafenbauten und zur Erhaltung der Schiffbarkeit von Binnengewässern?
- Welche Waren wurden auf Wasserwegen transportiert?
- Welche Rolle nehmen Binnenhäfen als Verlade- und Umschlagplätze im Zusammenspiel von Transportsystemen auf dem Land ein?
- In welche Wirtschaftsräume und Marktsysteme sind Binnenhäfen eingebunden?
Archäologischer Arbeitsteil
Karlburg am Main und der Pfalzkomplex Salz an der Fränkischen Saale (Projektphase 2012-2015)
Um potenzielle Hafenstandorte im Gelände zu identifizieren und ihre Einbindung in die Landschaft zu rekonstruieren, bedarf es eines breit gefächerten Methodenspektrums. Eine zentrale Rolle für die Erfassung natürlicher und anthropogen beeinflusster Veränderungen spielt die Analyse von LIDAR-Scans, Luftbildern und historischen Karten sowie von großflächigen geomagnetischen Prospektionen, Bohrungen, Begehungen und archäologische Grabungen. Als Fallbeispiele für den Einsatz dieser Methoden dienten in der ersten Förderphase zwei Studiengebiete in Unterfranken (Bayern) (Ansprechpartner: Andreas Wunschel M.A.):
Die Siedlungskammer rund um Karlburg am Main zeigt durch das Fund- und Befundspektrum eine starke Einbindung in überregionale Verkehrswege, wobei die Schifffahrt und der Main sicherlich eine wichtige Rolle spielten. Die präzise Lokalisierung einer früh- und hochmittelalterlichen Hafensituation fehlte jedoch bislang. Bisherige Forschungsansätze der Gleichsetzung des mittelalterlichen Hafenbereichs mit dem des 19. Jahrhunderts galt es einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Durch die Anwendung von geowissenschaftlichen und geoarchäologischen Untersuchungen konnte das bisher identifizierte Hafenbecken weitgehend als Produkt jüngerer Bodenveränderungen und Sedimentationsprozesse ausgemacht werden. Die Ergebnisse unserer Bohrungen verdeutlichen, dass das früh- und hochmittelalterliche Ufer bis zu 100 m weiter westlich im Landesinnern lag als heute. Demnach könnte eine 2 km lange natürlich gebildete Terrassenkante im Mittelalter als Ufer- und Anlandebereich genutzt worden sein. Großflächige archäologische und geophysikalische Prospektionen ermöglichten es außerdem, die ehemalige Gesamtausdehnung der Siedlung zu rekonstruieren und den Hafenbereich so von der Landseite aus weiter einzugrenzen. Hieraus ergeben sich neue Ansätze für das Verständnis der Siedlungstopographie im Früh- und Hochmittelalter sowie weitere Forschungsmöglichkeiten.
Etwa 100 Flusskilometer nördlich von Karlburg liegt an der Fränkischen Saale der frühmittelalterliche Pfalzkomplex Salz. Die Schriftquellen berichten, dass der Fluss von Karl dem Großen und seinem Sohn Ludwig dem Frommen auf dem Weg zur Pfalz Salz mehrfach befahren wurde. Die genaue Lage eines möglichen Hafenstandorts ist jedoch bis heute ungeklärt.
Neben einer mächtigen Befestigungsanlage auf dem Veitsberg und unweit eines rekonstruierbaren Wirtschaftshofes im Altort Salz bildet die Handwerker- und Gewerbesiedlung „Mühlstatt/Bitzenhausen“ ein wichtiges Element dieses Siedlungskomplexes. Zahlreiche Grubenhausbefunde und eine nahezu flussparallele Bebauungsstruktur belegen für die Wüstung „Mühlstatt/Bitzenhausen“ einen direkten Bezug zur Fränkischen Saale.
Durch Bohrungen zeigte sich, dass anders als beim mäandrierenden Verlauf des Mains bei Karlburg die Fränkische Saale im Untersuchungsbereich seit dem Neolithikum offenbar sehr lagekonstant ist. Weiterhin liegt es im Gegensatz zum heutigen Erscheinungsbild nahe, dass die gesamte Bebauung im Frühmittelalter im Bereich eines hochwasserfreien Schwemmfächers lag, der einem teils ausgeräumten Schotterkörper aufliegt. Diese flussnahe Sonderposition prädestinierte die Siedlung für die Anlage eines Hafens/Anlandebereichs.
Eine verbindende, regionale Perspektive fokussiert die Rolle des Wasserwegs zwischen diesen beiden Fundplätzen. Ziel ist eine diachrone Analyse des Flusses als Transport- und Reiseweg während des Früh- und Hochmittelalters.
Die Hafenbefunde von Regensburg, Frankfurt am Main und Speyer (Projektphase 2015-2018)
Wie bei der Saale und dem Main stellen sich ähnliche Fragestellungen zu Binnenschifffahrt und ‑häfen auch für Rhein und die Donau, den zentralen Wasserverkehrsachsen Mitteleuropas. In der zweiten Projektphase werden daher drei ausgewählte, bereits ausgegrabene Hafenbefunde der Städte Frankfurt a. M., Speyer und Regensburg archäologisch ausgewertet (Ansprechpartnerin: Doris Wollenberg M.A.) und sowohl untereinander als auch überregional mit archäologischen Hafenbefunden verglichen, um Aussagen zur Entwicklung von Häfen- und Binnenschifffahrt und ihrer Bedeutung innerhalb verschiedener Wirtschaftsräume in Europa im Früh- und Hochmittelalter treffen zu können. Neben der Klärung des historischen Uferverlaufs, der Konstruktionsweise der Uferbefestigungen und der Funktionen der Hafenanlagen stellt sich für Frankfurt, Regensburg und Speyer außerdem die Frage nach einer möglichen Nachnutzung älterer Anlagen aus römischer Zeit. Die Ergebnisse der archäologischen Befund- und Fundauswertung werden mit den historischen Schriftquellen zu Königsaufenthalten, Handel, Verkehr und Zollwesen kontextualisiert, um die herrschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung dieser drei Hafenstandorte zu erfassen.
Regensburg
In Regensburg kreuzen mehrere Fernhandelsstraßen die Donau, die Kontaktmöglichkeiten bis in den byzantinischen Raum eröffnen. Damit eignet sich Regensburg hervorragend für die archäologisch-historische Untersuchung von Wasser- und Landwegen und deren Schnittstellen für den Transport von Gütern und Personen. Im Frühmittelalter sind in der Bischofs- und Herzogsstadt zahlreiche Königsaufenthalte belegt, auch Händler werden in den frühmittelalterlichen Schriftquellen erwähnt. Für An- und Abreise wird mehrfach der Donauhafen genutzt, der bereits am Ende des 8. Jahrhunderts als portus saluber (besonders gut beschaffen) beschrieben wird. Im Hochmittelalter reisen Könige und Heere von Regensburg aus auf der Donau in Richtung Heiliges Land. Neben zahlreichen fossilen Rinnen, Ufersituationen und Brückenbestandteilen liegen entlang der Donau antike und mittelalterliche Uferbefestigungen und Hafenstrukturen in Holz- und Steinbauweise vor, die in den letzten Jahren in zahlreichen archäologischen Einzelmaßnahmen und während einer Großgrabung am Donaumarkt dokumentiert wurden. Sie ermöglichen umfassende archäologische Einblicke in die Baugestalt und Entwicklung des Regensburger Hafens und der Nutzung der Uferzone.
Für die Rekonstruktion des Hafens und der hafennahen früh- und hochmittelalterlichen Bebauung werden diese Befunde zusammenfassend ausgewertet und ihre Lagebeziehungen zum Donauufer, zum römischen Kastell, dem ufernahen Wegenetz sowie zu den Flussübergängen analysiert (Ansprechpartnerin: Doris Wollenberg M.A.). Dendroarchäologische Analysen von früh- und hochmittelalterlichen Bauhölzern sollen Auskunft über ihre Datierung und Provenienz geben und außerdem Einblicke in die Flößerei auf der Donau ermöglichen. Darüber hinaus trägt die Auswertung von 14C-Proben und Makrorestanalysen dazu bei, eine Feindatierung vornehmen und Aussagen zum historischen Verlauf der Donau unter besonderer Berücksichtigung der Hochwasserdynamik treffen zu können.
Eine Schlüsselposition wird in diesem Zusammenhang die Auswertung der Donaumarktgrabung einnehmen (Ansprechpartnerin Iris Nießen M.A.). Hier wurde in den Jahren 2009 bis 2015 im Vorfeld des Baus für das Museum der Bayerischen Geschichte eine Fläche von mehr als 6.000 m2 archäologisch untersucht. Dabei konnten nicht nur das spätmittelalterliche und neuzeitliche Stadtviertel rekonstruiert, sondern darüber hinaus verschiedene Uferbefestigungen, Altwasserarme sowie das früh- und hochmittelalterliche Siedlungs- und Handwerksareal erfasst werden. Die Lage unmittelbar an der Donau, nordöstlich des römischen Kastells und im Vorfeld der mittelalterlichen Stadt ermöglicht ganz besondere Erkenntnismöglichkeiten im Bezug zur Entwicklung und Nutzung des Donauufers, insbesondere während des frühen und hohen Mittelalters.
Während der Ausgrabung konnte die heute ca. 20 m landeinwärts liegende Uferlinie des 9./10. Jahrhunderts identifiziert und eine mehrphasige Entwicklung dokumentiert werden. Insgesamt wurden mindestens fünf unterschiedliche Uferbefestigungen an einer Stillwasserzone beobachtet, die eine stetige Verlandung nach Norden in Richtung des heutigen Donauufers anzeigen. Die gute Feuchtbodenerhaltung macht es möglich, den Verlauf auch durch dendrochronologische Datierungen zu untermauern. Die fortschreitende Verlandung zeichnet sich durch eine Abfolge von Donausedimenten und Kulturschichten, die von Landseite eingebracht wurden, ab. Sie sind Zeugnis einer schwankenden Uferlinie, die jeweils nach den Bedürfnissen der nutzenden Bevölkerung befestigt wurde. In der gesamten Grabungsfläche finden sich verschiedene landeinwärts liegende „Rinnen“ und Sedimentablagerungen, die ehemals wasserführende Seitenarme und Hochwasserereignisse anzeigen. Im Zuge der Auswertung werden die Veränderungen im Relief und in der Landschaft durch Umwelteinflüsse und anthropomorphe Veränderungen nachgezeichnet.
Frankfurt am Main
Neben Regensburg entwickelte sich in der Karolingerzeit Frankfurt am Main aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage am Kreuzungspunkt des Mains mit wichtigen Fernstraßen zu einem der bedeutendsten ostfränkischen Zentren. Um 1200 errichtete man direkt am Mainufer den sogenannten Saalhof, der mit seinem mächtigen östlichen Turm vermutlich eine Kontrollfunktion des Schiffsverkehrs übernahm. Zu diesem Baukomplex gehört eine 2012 ergrabene steinerne Kaimauer mit hölzernen Prellbalken, die mit der zum Main ausgerichteten Fassade des Saalhofes verzahnt ist. Eine Fortsetzung der Kaimauer nach Westen wurde bereits 1970 dokumentiert. Das Fundmaterial, das neben Keramik auch zahlreiche organische Funde enthält, verspricht weiterführende Einblicke in die Nutzung des Hafenareals. Die Aufarbeitung und baugeschichtliche Analyse der Hafenbefunde in Frankfurt zielt auf eine Rekonstruktion der mittelalterlichen Uferentwicklung und die Prüfung der Existenz eines weiter nördlich gelegenen karolingerzeitlichen Hafens ab. Wie in Regensburg werden auch in Frankfurt die Lagebeziehungen von Mainufer und Hafen zur römischen Vorbesiedlung und mittelalterlicher Stadt sowie zum ufernahen Wegenetz und den Flussübergängen analysiert (Ansprechpartnerin: Doris Wollenberg M.A.).
Speyer
Ein besonderes Potential bietet die vergleichende Betrachtung mit der fast zeitgleichen Kaianlage in Speyer, die 1987 ausgegraben wurde. Die Kaianlage liegt am Südrand der mittelalterlichen Kernstadt, wo ein bis in das 13./14. Jahrhundert schiffbarer Altarm des Rheins angenommen wird. Im Vergleich zu den Frankfurter Befunden zeigen sich Übereinstimmungen, aber auch konstruktive Variationen. Auch die Topographie und der städtische Kontext beider Hafenanlagen ermöglichen es, Vergleiche anzustellen. Das Kerngebiet Speyers liegt auf einem Sporn der Niederterrasse des Rheins und der Stadt geht ein römisches Militärlager voraus. In salisch-staufischer Zeit entwickelte sich Speyer zu einem wichtigen Königsort, Sakralzentrum sowie Handels- und Verkehrsknoten. Fähren gewährleisteten die Verbindung zwischen beiden Rheinseiten und bereits 1084 wird ein portus navalis erwähnt, der wohl im Norden der Stadt lag. Der zugehörige Rheinarm verlandete nach aktuellem Forschungsstand im 12./13. Jahrhundert, was Veränderungen der Hafeninfrastruktur nach sich zog, die es zu untersuchen gilt (Ansprechpartnerin: Doris Wollenberg M.A.).
Französische Projektmitarbeiter (Ansprechpartner: Dr. Annie Dumont, Dr. Marion Foucher)
Historischer Arbeitsteil
Itinerare und Urbare (Projektphase 2012-2015)
Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen der Häfen von Frankfurt, Speyer und Regensburg werden mit Hafenbefunden auf überregionaler Ebene unter Einbeziehung der französischen Binnenhafenforschung verglichen und mit historischen Quellen zu Handel, Verkehr und Zollwesen kontextualisiert, die Gegenstand des historischen Arbeitsteils des Projektes sind.
Dieser nahm in der ersten Projektphase zunächst eher überregionale Dimensionen in den Blick und besteht aus zwei Ansätzen (Ansprechpartner: Prof. Dr. Achim Hack, Carolin Haase M.A.): Zum einen wurde die Rolle der Binnenschifffahrt und die Bedeutung der mitteleuropäischen Flüsse mit ihren Häfen ausgehend von der Frage nach der Nutzung von Flüssen als Verkehrswege der römisch-deutschen Könige erforscht. Da Königsherrschaft im Mittelalter die persönliche Anwesenheit des Herrschers vor Ort erforderte, war das mittelalterliche Königtum ein Reisekönigtum, die Herrschaftspraxis ambulant; der König reiste beständig durch das Reich. Die Nutzung von Verkehrswegen war demzufolge eine entscheidende Herrschaftstätigkeit. Oft wird dieses Reisekönigtum im Bild von der „Herrschaft aus dem Sattel“ vermeintlich treffend als Fortbewegung vorwiegend zu Pferd charakterisiert. War das aber tatsächlich die dominierende Fortbewegungsart? Wie sah es mit den Flüssen aus, dem Reisen per Schiff? Wäre nicht auch „Herrschaft von den Planken aus“, „Herrschaft unterm Segel“ oder „Herrschaft am Steuerruder“ genauso treffend? Eine Auswertung der Itinerare (rekonstruierte Reisewege) der früh- und hochmittelalterlichen Könige hinsichtlich der Art ihrer Fortbewegung sollte darüber Klarheit bringen: Inwieweit und wie genau waren die Herrscher zu Schiff unterwegs? Bei der anschließenden Analyse historiographischer und urkundlicher Quellen auf Grundlage der Itinerare lassen sich neben der Funktion von Flüssen als Reisewege auch noch weitere Nutzungsformen von Binnengewässern feststellen, die im Projekt ebenfalls Berücksichtigung finden. Folgende Leitfragen stehen daher bei der systematischen Auswertung der Schriftquellen im Zentrum:
Wer nutzte Flüsse als Verkehrswege?
In welchem Zusammenhang, zu welchem Zweck wurden Flüsse genutzt beziehungsweise welche unterschiedlichen Nutzungsformen von Binnengewässern lassen sich feststellen?
Für welche Flüsse kann die Schiffbarkeit anhand der Nutzung nachgewiesen werden?
Welche weiteren Binnengewässer wurden mit Schiffen befahren?
Wo hat es Binnenhäfen gegeben?
In welchem Zusammenhang standen die Häfen und Flüsse mit anderen Verkehrswegen?
Welche Bedeutung hatten Binnengewässer als Verkehrswege im Vergleich zu Landwegen?
Zum anderen wurden anhand von Besitz- und Einkünfteverzeichnissen vorwiegend von Klöstern, den sogenannten Urbaren, die Bedeutung der Binnenschifffahrt im Rahmen der früh- und hochmittelalterlichen Grundherrschaft untersucht.
Urbare enthalten klassischerweise Informationen zu Besitz und Einkünften der Klöster und über die Hälfte der untersuchten Texte geben in diesem Zusammenhang auch folgendermaßen Auskunft über die Nutzung von Flüssen als Verkehrs- und Transportwege:
1. Zu den Besitzbestandteilen, die in den Urbaren des 8.-10. Jahrhunderts als Klosterbesitz aufgelistet werden, finden sich auch Häfen und Schiffe.
2. Bei den Einkünften handelte es sich einerseits um Abgaben, andererseits um Dienste.
Die Abgaben waren als Anteile des landwirtschaftlichen Ertrages oder als Erlöse aus Gewinn bringenden Rechten meist Naturalien, mitunter auch Geldzahlungen. In gleicher Weise sind in den Urbaren auch Häfen und Schiffe verzeichnet, von denen eine Art Abgabe eingefordert wurde.
3. Neben den Abgaben, zählten zu den Einkünften des Klosters ebenso die von den Bauern zu erbringenden Dienste. Eine Sonderform stellen dabei Transportdienste dar, die entweder auf dem Landweg mit eigenem Karren oder auf dem Wasser zu Schiff als sogenannte Schiffsdienste (navigium) abzuleisten waren.
Jene drei geschilderten Informationsgruppen – Häfen und Schiffe in Klosterbesitz, Transportdienste der abhängigen Bauern zu Wasser und Abgaben erbringende Häfen und Schiffe – beleuchten die umfassende Nutzung der Binnengewässer als Verkehrs- und Gütertransportwege und als Einnahmequelle der klösterlichen Grundherren.
Die systematische Analyse von Binnenschifffahrt und Binnenhäfen in der früh- und hochmittelalterlichen Grundherrschaft erbrachte dabei bislang eindrückliche Ergebnisse u. a. zu den in diesem Zusammenhang genutzten Flüssen, den dabei als Häfen im Sinne des SPP anzusprechenden Start- oder Zielorten der Schifffahrten, den Entfernungen und Fahrtrichtungen, den transportierten Gütern, den Transporteuren und zu praktischen und rechtlichen Details der Transportorganisation. Neben großen Strömen wie Rhein, Po oder Seine sind auch deren Nebenflüsse als Transportweg fassbar, Kurz- wie Langstreckentransporte belegt, Stromauf- genauso wie Stromabwärtsfahrten nachweisbar, als wichtigste Transportgüter Getreide und Salz festzustellen und neben vereinzelten Transportspezialisten vor allem die hörigen Bauern als Transporteure erkennbar. Die Urbare gewähren oftmals sogar Einblicke in Organisationsabläufe oder Häufigkeiten der Transporte, lassen Wasserweg-Landweg-Kombinationen und etappenweise Transporte mit Zwischenstationen erkennen und ermöglichen damit Aussagen zum innergrundherrschaftlichen Gesamttransportnetz. Die bislang vielfach unterschätzte Bedeutung der Binnenschifffahrt in innergrundherrschaftlichen Transportzusammenhängen konnte anhand dieser Erkenntnisse, durch vergleichende Betrachtung alternativer Landtransporte und nach eingehender quellenkritischer Analyse der Urbare als durchaus sehr hoch belegt werden.
Zölle
In der zweiten Projektphase steht die systematische Auswertung von Quellen zu den auf dem Rhein und der Donau erhobenen Wasserzöllen im Mittelpunkt des historischen Arbeitsteils – ist doch davon auszugehen, dass diese Abgaben in Häfen bzw. an Anlegestellen entrichtet wurden (Ansprechpartner: Prof. Dr. Achim Hack, Corinne Hocke M.A.). Die Untersuchung wird sich dabei auf die Zeit zwischen 500 und 1300 konzentrieren und den Fokus auf den Rhein in seiner gesamten Länge und die Donau im heutigen Deutschland und Österreich legen. Als Quellengrundlage sind vor allem Urkunden und Gesetzestexte zu nennen, etwa die karolingischen Kapitularien, doch auch in manchen erzählenden Quellen und sogar in hagiographischen Texten sind interessante Aspekte der Zollerhebungspraxis zu finden. Bei der Untersuchung beider Flüsse stehen vor allem drei Themenbereiche im Mittelpunkt:
- Die Art der Zölle. Im Bereich der Wasserzölle sind drei unterschiedliche Zollarten zu finden, namentlich die (unter Ludwig d. Frommen explizit verbotenen) Passierzölle, die Zölle, die in Häfen bzw. an Anlegestellen für deren Nutzung zu entrichten waren und jene Zölle, die im Zusammenhang mit Handel stehen, also beispielsweise von Schiffern zu entrichtende Marktzölle.
- Informationen zu den Häfen. Über Häfen und Anlegestellen, aber auch über die Schifffahrt als solche geben die Quellen teils umfangreiche Auskünfte. So sind etwa Befestigungen von Häfen, Hafentore oder als Hindernis über Flüsse gespannte Ketten in den Schriftquellen erwähnt. Zudem ist darauf zu achten, ob und wie in den Beschreibungen Häfen und Schiffsländen voneinander zu unterscheiden sind.
- Schließlich können über die Untersuchung von Zöllen auch Informationen über den Warenverkehr gesammelt werden. Dabei ist oft nicht nur auszumachen, welche Arten von Gütern transportiert wurden, sondern auch, wie wertvoll sie jeweils waren, wurden die Zölle doch anhand der Waren festgesetzt und oft direkt von diesen als Naturalleistungen bezahlt. Außerdem lassen sich häufig auch Aussagen über die (räumliche) Lage der Märkte treffen: innerhalb der Stadt, in Hafennähe oder gar direkt auf dem Schiff.
Die Analyse der Zölle auf Rhein und Donau wird mit einem Vergleich der Situation auf beiden Flüssen abgeschlossen. Gerade dabei können noch einmal wichtige Informationen über unterschiedliche Gegebenheiten in verschiedenen Reichsteilen gewonnen werden. Nicht zuletzt ist davon auszugehen, dass das Zollwesen am mitten durch das Deutsche Reich führenden Rhein anders gestaltet war als an der vom Zentrum des Reiches in seine Peripherie führenden Donau.
Die Ergebnisse der historischen und archäologischen Untersuchungen von Binnenhäfen werden laufend systematisch in einer gemeinsamen Datenbank zusammengeführt, die die Basis für die Erarbeitung eines interdisziplinären Gesamtkatalogs zur Binnenschifffahrt ist und die als Projekt-Ergebnis ein möglichst vollständiges Bild über die Einbindung der Binnenhäfen in das früh- und hochmittelalterliche Transport- und Verkehrswesen ermöglichen soll. Die Datenbank soll ferner als Grundlage für eine vergleichende, epochenübergreifende Strukturanalyse von Häfen- und Hafennetzwerken dienen. Neben der Lokalisierung sowie der baulichen und funktionalen Klassifizierung von Häfen im Gesamtgefüge der verschiedenen Hafennetzwerke steht insbesondere die Frage nach ihrer Lage- und Nutzungskontinuität, ihrem baulichen Wandel sowie ihrer Einbindung in die verschiedenen Wirtschaftsräume von der Römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter. Unter Berücksichtigung der zuvor genannten Fragestellungen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Hafenanlagen im Mediterraneum und Nord- und Mitteleuropa herausgearbeitet, mit dem Ziel übergeordnete Entwicklungsmodelle zu Standorten, Erhaltungsbedingungen, Nutzung und Funktion von Binnenhäfen formulieren zu können.