Die thrakische Hafenstadt Ainos in römischer und byzantinischer Zeit - Entwicklung eines Verkehrsknotens in einer sich wandelnden Umwelt
Landschaft und Geschichte
Im Mündungsbereich des Hebros (türk. Meriç, griech. Evros), eines Flusses, welcher heute die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei bildet, liegt die türkische Kleinstadt Enez (Provinz Edirne). Hier ist die einst bedeutende Hafenstadt Ainos zu lokalisieren. Das Siedlungsareal auf einem leicht erhöhten Plateau wird im Süden und Westen von zwei Lagunen, dem Dalyan Gölü und dem Taşlık Gölü, umschlossen. Im Norden wird die Stadt heute durch den Hebros begrenzt, dessen Bett sich durch das Schwemmland einer ehemaligen Meeresbucht zieht. Sedimentablagerungen des Flusses führten maßgeblich zu einem Verlandungsprozess, der eine Verschiebung der Küstenlinie nach Westen zur Folge hatte, so dass die Siedlung selbst heute etwa drei bis vier Kilometer vom Meer entfernt liegt. Auch die Lagunen weisen nur noch eine geringe Wassertiefe auf und sind vom offenen Meer abgeschnitten.
In der Antike dürfte die topographische Situation fast einer Landzunge bzw. Halbinsel entsprochen haben. Die beiden Lagunen boten Schutz vor der offenen See und den stark wehenden Winden. Der Hebros, der bis nach Hadrianopolis (Edirne) mit Schiffen schiffbar war, gewährleistete die Anbindung ins Hinterland. Diese von Natur aus vorteilhaften Voraussetzungen begünstigten bereits ab dem späten 7. Jahrhundert v. Chr die Entwicklung der als griechische Kolonie gegründeten Stadt zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Von der wirtschaftlichen Bedeutung bereits in archaischer und klassischer Zeit zeugen zahlreiche Importfunde und die überregional bedeutende Münzprägung. In der Spätantike war Ainos die Hauptstadt der Provinz Rhodope und zugleich Bischofssitz. Aus mittel- und spätbyzantinischer Zeit sind noch ansehnliche Bauzeugnisse erhalten, vor allem Kirchenbauten und Fortifikationen. Der Herrschaft der genuesischen Familie der Gattelusio ab 1376 folgte im Jahre 1456 die osmanische Herrschaft.
Stand der Forschungen
1971 fanden erstmals systematische Ausgrabungen durch die Universität Istanbul statt und werden seit 1978 jährlich in mehrwöchigen Forschungskampagnen durchgeführt. Ziele der bis dato stattfindenden Untersuchungen bildeten die Zitadelle, die Gräberfelder im Osten der Siedlung, ein gepflasteter Straßenabschnitt, ein hochwertig ausgestatteter römischer Wohnkomplex, der als Villa bezeichnet wird, sowie ein Kirchenbau, die sog. Königstochter-Basilika östlich des Taşaltı-Hügels. Bezüglich der Siedlungstopographie bleiben für Ainos als Hafenstadt in antiker und byzantinischer Zeit jedoch viele Fragen offen. Vor allem die Nutzung ufernaher Areale als Hafen- und Umschlagzonen und deren Kontinuität bzw. Verlagerung sind noch gänzlich ungeklärt.
Ziele
Für die Erforschung eines Knotenpunktes der Handelsschifffahrt von der römischen Kaiserzeit bis in die byzantinische Zeit bietet Ainos als Schnittstelle zwischen Meer und Binnenland gute Voraussetzungen. Besonders die durch den Verlandungsprozess hervorgerufenen Umweltveränderungen spielten neben der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandlung eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Hafenstadt. Die zentralen Fragestellungen des Forschungsvorhabens sind daher:
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Lokalisierung und Datierung der Hafenanlagen und -viertel
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Ermittlung des raumzeitlichen Verlaufs des die Existenz der Hafenstadt bedrohenden Verlandungsprozesses
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Analyse der Veränderung der Siedlungstopographie durch den Landschaftswandel
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Untersuchung der Anbindung von Ainos an das überregionale Verkehrsnetz.
Arbeitsprogramm
Das interdisziplinär aufgestellte Projektteam bedient die Arbeitsgebiete der Archäologie, Geoarchäologie, Geophysik, Geoinformatik und Bauforschung. Mit diesem breiten Methodenspektrum sollen die für die Entwicklung von Stadt und Umwelt wesentlichen Belege erfasst und ausgewertet werden. Die Untersuchungen vor Ort erfolgen innerhalb der jährlich von Prof. Dr. Sait Başaran (Universität Istanbul) durchgeführten Ausgrabungskampagnen von 2012 bis 2014. Vorarbeiten fanden bereits in den Jahren 2010 und 2011 statt.
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Geoarchäologie: Zentrales Anliegen der geoarchäolgischen Forschungen in Ainos ist die Rekonstruktion der Landschaftsentwicklung während des Holozäns. Ein besonderer Fokus der Untersuchungen wird dabei auf den intensiven Besiedlungsphasen der Hafenstadt liegen. Die Landschaftsrekonstruktion basiert primär in der Gewinnung und Auswertung von Rammkernsondierungen. Die so gewonnenen Sedimente erlauben nach der geochemischen, granulometrischen und mirkofaunistischen Analyse sowie der chronostratigraphischen Einordnung mittels 14C und OSL Rückschlüsse auf verschiedene Fazies (limnisch, lagunär etc.) und auf die Paläoumwelt zu verschiedenen Zeitschnitten. Zudem wird die Erstellung eines Pollenprofils angestrebt, das Umweltveränderungen durch das Auftreten von Vegetationswechseln gut beschreiben kann. Durch dieses Verfahren sollen die verschiedenen potentiellen Hafenstandorte von Ainos auf ihre Tauglichkeit als Hafen untersucht werden. Weitere Aufgabenfelder liegen in der Entstehungsgeschichte des Nehrungssystems, der damit verbundenen Lagunenbildung und Verlandung der Region. Durch Bohrkernsequenzen um den Stadtberg herum wird die Frage der Halbinselstellung der Stadt in der Antike gelöst werden können, einhergehend mit möglichen Flussbettverlagerungen des Hebros. Neben der Zentralaufgabe der Landschaftsrekonstruktion werden Untersuchungen zum Auftreten von Extremwellenereignissen durchgeführt, die durch die Lage nahe der Nord-Anatolischen-Verwerfung möglicherweise auch in Ainos auftraten.
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Geoinformation und GIS für Archäologische Untersuchungen: In Zusammenarbeit mit der FH Mainz (i3mainz-Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik) wurde ein Netz von Fixpunkten für das Arbeitsgebiet geschaffen. Dieses bildet den geometrischen Rahmen für alle raumbezogenen Daten im Projekt. So werden im Geoinformationssystem (GIS) topographische Daten zusammen mit den Fachdaten der Arbeitsgruppen visualisiert und analysiert. Neben der Geo-Referenzierung der Informationen der beteiligten Teams sind vor allem die Vermessung archäologischer Befunde der antiken Siedlung und die Erstellung für ausgewählte Bereiche detaillierter Geländemodelle grundlegende Arbeiten. In Ergänzung hierzu sind Oktocopterbefliegungen geplant, um die so erstellten GPS Daten mit Stereo-Luftbildaufnahmen zu korrelieren, und zu einer beiderseitigen Methodenverbesserung beizutragen. Sämtliche Daten im GIS fließen in die Erstellung von Übersichts- und Detailplänen der aktuellen und antiken Situation ein.
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Geophysik: Geophysikalische Untersuchungen großflächiger Areale an Land und im Flachwasser werden in Kooperation mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG Wien) und dem Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt. Die Tätigkeit der Letztgenannten erfolgt im Rahmen eines eigenen Projektes innerhalb des SPP 1630. (http://www.spp-haefen.de/de/die-projekte/geophysikalisches-zentralprojekt/)
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Bestimmung und Auswertung ausgewählter Keramikkomplexe römischer und byzantinischer Zeitstellung: Über die Bearbeitung der Keramik sollen Erkenntnisse zur wirtschaftlichen Entwicklung der Hafenstadt gewonnen werden. Im Mittelpunkt stehen römische und byzantinische Importfunde, die Erkenntnisse über die Anbindung von Ainos an das überregionale Handels- und Verkehrsnetz ermöglichen.
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Bauaufnahme der in Verbindung mit potentiellen Hafenanlagen stehenden historischen Monumente: Die Beobachtungen aus der Dokumentation der historischen Bauzeugnisse fließen teilweise in die Kartierung der Siedlungstopografie mit ein. Maßgeblich sollen jedoch anhand der Bauforschung die Bauphasen der lagunenseitigen Fortifikation und deren zeitliche Einordnung erzielt werden. Aufgrund der zu erwartenden Ergebnisse soll eine Rekonstruktion der Anlage erfolgen. Um die Dimensionen nicht erhaltener antiker Bauwerke in Ainos nachvollziehen zu können, werden sämtliche Spolien und Bauteile katalogisiert.