Häfen an der Balkanküste des byzantinischen Reiches
Das Projekt hat es zum Ziel, die Häfen und Landungsplätze an den Balkanküsten des byzantinischen Reiches, also geographisch von Dalmatien über die Ägäis in den westlichen Schwarzmeerraum bis zur Donaumündung systematisch zu erfassen und in ihrer Bedeutung, ihren materiellen Strukturen und ihrer Funktionalität sowohl für das Verkehrsnetz zur See als auch die Kommunikation mit dem Hinterland umfassend auf breitestmöglicher Quellenbasis unter kritischer Nutzung wissenschaftlicher Vorarbeiten zu dokumentieren und in den größeren Kontext des ökonomisch-sozialen Geschehens zu stellen.
Den zeitlichen Rahmen geben die Entstehung des byzantinischen Staates in Nachfolge des Imperium Romanum im 4. Jahrhundert und die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert vor, als der 4. Kreuzzug 1204 zur Zerschlagung des Reiches führte, nachdem sich bereits vorausgehend partikularistische Tendenzen ab ca. 1185 manifestierten. Nach dem Fall von Konstantinopel 1204 bauten die italischen Seemächte ihre Handelspräsenz in der „Romania“ massiv aus und veränderten ebenso die Hafensituation. Der deshalb gewählte Endpunkt korrespondiert zudem mit dem des gesamten SPP 1630. Besagte Balkanküsten standen bis dahin vorwiegend oder sogar dauernd unter Kontrolle des byzantinischen Reiches, was sie - nicht zuletzt in der Aussagekraft - von anderen europäischen Küstenabschnitten abhebt, die nur zeitweilig unter kaiserlicher Herrschaft waren.
Erstellt wird in der ersten Projektphase eine alle erreichbaren Daten einschließende Datenbank der Küstenorte, Buchten und Flussmündungen des definierten Untersuchungsgebietes, die ein Anlanden kleiner, mittlerer oder großer Schiffe ermöglichten und ihrer baulichen Gegebenheiten, basierend auf
1) der spätantiken und mittelalterlichen Gebrauchsliteratur der Seerouten und küstennahen Verkehrslinien (Periploi) und der die einstigen Spezifika der Häfen überliefernden Portulane,
2) sonstigen Schriftquellen (etwa Reiseberichte, Hagiographie),
3) der bislang an den einzelnen Plätzen erhobenen archäologischen Funde und Befunde,
4) geographisch-geologischen Forschungen zur Dynamik der Küstenverläufe,
5) der bislang publizierten Fachliteratur zur Thematik.
Spezielle Bedeutung kommt bei letzterer dem Langzeitprojekt „Tabula Imperii Byzantini“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu (vgl. http://www.oeaw.ac.at/imafo/die-abteilungen/byzanzforschung/communities-landscapes/historische-geographie/), welches Geschichte, Wirtschaft und Handel, Verkehr und Demographie, Siedlungen und sonstige dokumentierte oder forschend wiederentdeckte Monumente und Infrastrukturen zu einem Gesamtbild eines Bereiches vereint - in bislang 11 voluminösen Bänden seit 1976 für zentrale Regionen des byzantinischen Reiches. Sie werden nun weiterverarbeitet; eine Hafendokumentation, welche zeitsparend die solide TIB-Basis nutzt, aber aktualisiert weit über deren Zielsetzungen hinausreicht, wird erzielt.
In einem Kooperationsprojekt wird weiters eine neues Laserscanverfahrens (Airborne Laser Bathymetrie), das auch Unterwasseraufnahmen bis in 10 Meter Tiefe erlaubt, erprobt. Diese ermöglicht die Erfassung des in Schriftquellen (vor allem De administrando imperio des Konstantin Porphyrogennetos, 10. Jh.) nur ausschnitthaft dokumentierten Bereichs der nördlichen Küstenzone Dalmatiens (Inseln Cres und Lošinj mit der Stadt Osor) mit weiteren Hafenanlagen. Die genaue Kenntnis der Meerestopographie erlaubt es, ihren Einfluss auf Form und Größe limenologischer Anlagen näher zu bestimmen.
Dem Sinn eines SPP-Vorhabens entsprechend wird in einer zweiten Projektphase der Meinungs- und Ergebnisaustausch mit anderen Teilprojekten intensiviert; die globale Vernetzung erleichtert diesen Prozess des wechselseitigen Gebens und Nehmens. Von der Gesamtleitung des SPP zu organisierende Bereichstreffen werden gleichwohl ebenso förderlich sein. Parallel dazu helfen Bereisungen der zu untersuchenden Häfen und Küsten das bislang gewonnene Bild lokal und real zu überprüfen und erforderlichenfalls Modifikationen vorzunehmen. Auch die schriftliche Quellenbasis wird erweitert, indem etwa die aus Phase 1 resultierende Hafenterminologie auf der umfassenden Datengrundlage des Thesaurus Linguae Graecae (TLG), einer Online-Datenbank zentraler griechischer Texte auch aus byzantinischer Zeit, vervollständigt wird. Die im Bereich der einzelnen Häfen aufgefundenen Amphoren-Typen werden in einen breiten Verbreitungskontext über das Untersuchungsgebiet hinaus gestellt, mit der Zielsetzung, daraus Waren- und Verkehrsströme besser erkennen zu können, was gemeinsam mit der Erfassung von Schiffsfriedhöfen an Gefahrenstellen schon zur dritten Projektphase überleitet.
Die abschließende „Analyse im Kontext“ intendiert die aus den Einzelelementen der Hafen gewonnenen Daten einem Mosaik gleich zusammenzufügen. Prinzipiell ist anzustreben, anhand der Umweltgegebenheiten, der baulichen Substanz und der Dokumentation des Handelsvolumens ein Bild des realen Hafenalltags unterschiedlichen Zuschnitts zu entwickeln. Die Gewichtung dieser Kategorien von lokaler bis überregionaler Bedeutung und die Streuung ihrer Vertreter wird es ermöglichen, das Konzept getrennter, sich aber überschneidender „shipping-zones“ auszubauen und die Interaktion der Hafen mit dem Hinterland besser zu verstehen. Zu hinterfragen und einer Klärung näherzubringen ist auch die mentale Einstellung bei Platzwahl und Nutzung von Hafen. Standen die Byzantiner bloß in einer konservativen Tradition der Fortführung bestehender Anlagen (Hohlfelder 1997) oder legten sie angesichts häufig feindlicher Nachbarn verstärktes Augenmerk auf eine gesicherte Lage? Die Position auf Halbinseln, der wir etwa im bulgarischen Mesembria (Nesebar) und Sozopolis, ebenso in Monembasia (Peloponnes) oder in Cefalù (Sizilien), allesamt wichtige Umschlagplätze begegnen, ist nicht a priori als zufällige Parallele abzutun.
Die Fläche des Hafenareals mit Kais und Landestegen, die Lagerkapazitäten, seine Relation zur Größe der Siedlung insgesamt ist nicht allein von morphologischen Vorgaben abhängig, sondern widerspiegelt ebenso den Grad der jeweiligen Anbindung ans Hinterland. Seine jeweilige Produktivität und die terrestrischen Verkehrsarterien (etwa Getreideanbau in den Ebenen Thrakiens, Zulieferung nach und Vermarktung in Rhaidestos an der Propontis) haben als mehr oder weniger stimulierende Faktoren in eine angestrebte Gesamtbewertung der Funktionalität der Hafen einzufließen.
Im stetigen Austausch mit den anderen Projekten des SPP wird dadurch eine neue Analyse der komplexen Verflechtungen zwischen Hafenplätzen und Hinterland, zwischen See- und Landrouten und zwischen naturräumlichen Gegebenheiten, materieller und institutioneller Infrastruktur und menschlicher Mobilität in der Vormoderne möglich.